Die Ent- Täuschung

Jeder war schon einmal enttäuscht. Was aber steckt wirklich hinter der „Ent“ –„Täuschung“? Ist es ein Erwachen aus einer Fehlsichtigkeit? Ist es reine Desilliusionierung oder ist es gar Selbsttäuschung, die uns eine Enttäuschung bescherte? An einem realen Beispiel zeigt sich das wahre Gesicht der Enttäuschung. Aber Vorsicht! Dahinter lauert die Desillusionierung…

Nehmen wir einen Fall, den das Leben schrieb:
Vor über einem Jahr überredete Geschäftsmann Degenhart seinen Klienten Kaufmann, die beiderseitigen Talente in einen Topf zu werfen und eine gemeinsame Firma (Amicas) zu gründen. Die Betätigungsfelder lagen recht weit auseinander. Obwohl dies beiden Partnern bewusst war, kam es zur Gründung einer GbR. Beide erkannte darin auch den besonderen Reiz der neuen Firma. In den folgenden Monaten der gemeinsamen Projektierung konnte Kaufmann jedoch keinen Zugang zum Geschäftsfeld seines Partners finden. So entschloss er sich mehr und mehr, seine eigene Geschäftsidee voranzutreiben. Er gründete eine weitere Firma, nur auf seinen Namen (Kaufit).

Damit war er erfolgreich und teilte seinem Partner schließlich mit, dass er sich trennen wolle, weil die bisherige gemeinsame Geschäftsidee keinen Gewinn erbracht habe. Ganz im Gegensatz zu seiner eigenen, bisherigen Geschäftsidee (Kaufit), die boomte nämlich und brachte kräftige Umsätze.

Degenhart war enttäuscht, denn er hatte mehr Durchhaltevermögen erwartet. Denn langsam begann auch sein Teil der Geschäftsidee Erfolg versprechend zu wirken, wenn gleich nicht in dem Maße wie bei Kaufmann.

Was war geschehen? Die Erwartungen der beiden Geschäftsleute waren unterschiedlicher Natur. Kaufmann war überredet worden und hatte sich ohne rechte Überzeugung ins gemeinsame Boot begeben. Der Erfolg blieb aus. Sein eigenes Geschäft (Kaufit) begann zu blühen. Er hatte sich nie mit dem gemeinsamen Geschäft (Amicas) identifiziert. Jetzt fiel es ihm leicht, auszusteigen und die eigene Idee voranzutreiben.

Degenhart hingegen hatte seinen Partner überredet, ihn jedoch nicht von der Sinnhaftigkeit der gemeinsamen Sache überzeugen können. Da der Erfolg nach über einem Jahr ausblieb, war er nun enttäuscht, dass sich Kaufmann von ihm trennte, denn er war ein Mann von Prinzipien, der fest an das gemeinsame Projekt (Amicas) glaubte.

Am Ende lag Degenharts Enttäuschung in seiner eigenen Erwartung an den anderen. Hätte er nichts erwartet, wäre ihm die Enttäuschung erspart geblieben.

Auf der anderen Seite hatte auch Kaufmann eine Erwartung in die gemeinsame Geschäftsidee (Amicas) gesetzt, nämlich die eines schnellen Erfolgs. Diese Erwartung erfüllte sich in seiner eigenen Geschäftsidee (Kaufit), die er daher euphorisch vorantrieb. Die gemeinsamen Energien flossen auseinander, während seine Enttäuschung über die mangelnden Aufträge für die gemeinsame Firma mit dem Erfolg der eigenen Gewinn bringenden Firma wuchs. Er war zunehmend desillusioniert und begann die bisherigen Tatsachen in Frage zu stellen. Sein eigener Erfolg sorgte für eine Neuinterpretation der Gegebenheiten und veranlasste ihn schließlich, sich von Degenhart zu trennen.

Die „Ent-„Täuschung“ trägt damit ebenso, wie die Desillusionierung ein großes Erneuerungspotenzial in sich. Die sich daraus ergebenden Neugestaltungen können bessere und effektivere Systeme hervorbringen.

Dumm nur, wenn sich Kaufmann in seiner Einschätzung geirrt hat, und die gemeinsame Geschäftsidee wäre erfolgreicher geworden als sein Einzelgeschäft. Dann müsste die Enttäuschung einer weiteren Enttäuschung weichen, was der Desillusionierung einer Illusion gleich käme.

Enttäuscht sein hat etwas von Beleidigt sein. Am Ende ist der Enttäuschte, ebenso wie der Beleidigte ein Opfer eigener Deutungen.

„Es gibt kaum eine größere Enttäuschung,
als wenn du mit einer recht großen Freude im Herzen
zu gleichgültigen Menschen kommst.“
Christian Morgenstern



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